Vortrag von Prof. Dr. Jochen Golz (Weimar): Goethe und Schubert – Ein Verhältnis zwischen Legende und Wirklichkeit
Nicht aus der Welt zu schaffen ist die Legende, dass Goethe Schuberts musikalisches Genie verkannt, ihn ins Nichts zurückgestoßen habe, während alle Welt heute wisse, welches Unrecht dem Komponisten widerfahren sei. Doch dem Licht der Historie hält diese Legende nicht stand. Schubert selbst hat die Sendung seiner Liedkompositionen und einen Begleitbrief seinem Freund Josef von Spaun überlassen, der dem 19-jährigen Liedschöpfer darin übertriebenes Lob spendet und die zugrunde liegenden Gedichte Goethes zu Objekten musikalischen Experimentierens erklärt. Dass ein solcher Brief Goethes Lust nicht erhöht hat, sich den Vertonungen zu widmen, liegt auf der Hand; wir wissen auch nicht, ob er sich die Lieder wirklich hat vorspielen lassen. Immerhin hat er die Sendung zurückgeschickt.
Objektiv betrachtet konnte Goethe aus anderen Gründen keinen Gefallen an Schuberts Tonsprache finden, war er doch durch die Vertonungen seines Freundes Zelter auf das schlichte Strophenlied eingeschworen. Das kann man bedauern, muss es aber historisch erklären und verstehen. Natürlich wissen wir heute um die Genialität von Schuberts Vertonungen, doch darf uns das nicht dazu verleiten, auf Goethes Reagieren mit unseren Augen zu blicken. Schuberts Goethe-Verehrung hat das Schweigen aus Weimar keinen Abbruch getan. All dies soll im Vortrag dargestellt werden.
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Nach einem Studium der Germanistik und Indonesienkunde war Jochen Golz Lektor im Aufbau-Verlag Weimar, 1978-1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für klassische deutsche Literatur an den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten in Weimar, dann Direktor für Edition und Forschung an der Klassik Stiftung Weimar und später Direktor des Goethe- und Schiller-Archivs an der Klassik Stiftung. Von 1999-2019 war Prof. Golz Präsident der Goethe-Gesellschaft Weimar und ist nunmehr deren Ehrenpräsident.
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Der Vortrag von Prof. Golz ist Teil der 1. Wetzlarer „Schubertiade“, die neben Vorträgen und einem Themen-Spaziergang hochkarätige Konzerte bietet: Am Donnerstag, 5. Juni spielt der Pianist Wigbert Traxler in der Musikschule einen Klavierabend mit Werken von Franz Schubert und am Samstag, 7. Juni ist der international bekannte Tenor Julian Prégardien (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Julian_Prégardien) mit seinem langjährigen Begleiter, dem Pianisten Daniel Heide, zu Gast; mit ihrem Goethe-Liederabend in der Kreuzkirche Wetzlar eröffnet zugleich der Kultursommer Mittelhessen 2025.